LinkedIn-Marketingexperte Guilherme Miguel: „Verbraucher:innen wollen mehr Einzigartigkeit“

Nur wenige Geschäftsbereiche verändern sich schneller als das digitale Marketing. Von der künstlichen Intelligenz bis hin zu dynamischen Verbrauchertrends gibt es immer etwas Neues zu lernen. Guilherme Miguel, der bei LinkedIn das internationale Marketingteam in den Regionen EMEA, Lateinamerika und APAC leitet, kennt dieses Spiel von Anfang bis Ende.
Seine früheren Erfahrungen bei Unilever und Samsung verschafften ihm Einblicke in traditionelle Ansätze des Marketinghandwerks. Bei Google half Miguel dabei, eine breite Palette von Produkten zu bewerben, darunter Chromecast, YouTube Gaming, Android und Google Assistant. Doch all das wird sich seiner Meinung nach in einer Ära des schnellen technologischen und kulturellen Umbruchs ändern.
Nur wenige Geschäftsbereiche verändern sich schneller als das digitale Marketing. Von der künstlichen Intelligenz bis hin zu dynamischen Verbrauchertrends gibt es immer etwas Neues zu lernen. Guilherme Miguel, der bei LinkedIn das internationale Marketingteam in den Regionen EMEA, Lateinamerika und APAC leitet, kennt dieses Spiel von Anfang bis Ende.
In den folgenden Abschnitten teilt Miguel seine Gedanken über die Auswirkungen generativer Künstlicher Intelligenz und das Geheimnis seiner erfolgreichsten Kampagnen für LinkedIn. Außerdem verrät er, was es braucht, um ein Team von Marketing-Fachleuten einzustellen und zu führen.
Welche Trends werden das Produktmarketing in den nächsten Jahren prägen?
Die Welt wird immer spezifischer und die Marketing-Disziplinen spalten sich mehr und mehr. Die generative KI hat bereits Auswirkungen auf die Marketingwelt. Wir haben Tools, die uns helfen, flexibler zu sein und weniger Geld auszugeben. Du brauchst nur ein paar Worte einzugeben und hast in wenigen Sekunden Marketingtexte, Bewertungen oder Bilder für deine Kampagnen fertig.
Man verliert mit Künstlicher Intelligenz vielleicht ein wenig an Originalität, aber man hat effektivere Werkzeuge. Im Zuge des technologischen Fortschritts werden Marketer:innen erfolgreich sein, die wissen, wie sie KI zu ihren Gunsten nutzen können. Das wird ein Unterscheidungsmerkmal für jede Fachkraft sein, die an Produktmarketingkampagnen oder Markenkampagnen arbeitet.
Der Gegentrend ist, dass die Verbraucher:innen mehr nach realitätsnahen Themen und Authentizität suchen. Handgefertigte, lokal hergestellte, personalisierte Produkte werden immer beliebter. Lokale, kleinere Marken steigen durch virales Marketing schnell auf.
Im Vereinigten Königreich gibt es zum Beispiel Marken wie Surreal, ein Müslihersteller, der das Gegenteil von Kellogg's ist. Oder Oatly, dessen Produkte mit denen etablierter Firmen konkurrieren. Diese Marken stellen eine Gegenbewegung dar und spiegeln wider, dass Nutzer:innen sich mit Massenprodukten nicht mehr zufriedengeben.
Ein weiterer Trend steht im Zusammenhang mit dem Klimawandel. Den Nutzer:innen der Generation Z sprechen vor allem auf digitales Marketing an und ihnen liegt das Klima sehr am Herzen. Meine Generation hat versucht, die Unternehmen zu verändern, aber die junge Generation ändert ihre Konsumgewohnheiten drastisch und stellt kritische Fragen, woher die (Ressourcen für) Produkte kommen.
Sie bevorzugen es, gebrauchte Dinge zu kaufen, um einen negativen ökologischen Fußabdruck zu vermeiden. Sie treffen schwierige Entscheidungen, die meine Generation nicht so häufig getroffen hat. Dies kann wirklich die Welt verändern.
Wie einfach ist es, nach der Markteinführung eines Produkts die anfängliche Aufmerksamkeit aufrechtzuerhalten?
Die Herausforderung besteht darin, viral zu werden. In einem Markt, in dem die Menschen von Informationen überflutet werden, ist das nicht einfach. Man kann dennoch Taktiken finden, um viralen Content zu machen, wie zum Beispiel die Zusammenarbeit mit Influencern mit großer Reichweite. Um einen wirklich nachhaltigen Eindruck zu machen, muss man die tiefsten Bedürfnisse der Nutzer:innen erkennen und das Produkt so weit wie möglich personalisieren. Es gibt keinen anderen Weg.
Wie setzt du „eine Vision entwickeln und eine Strategie erstellen“ in konkrete Handlungen um?
Der erste Schritt ist, zu verstehen, wer deine Zielgruppe ist. Was sind ihre Bedürfnisse? Welches Problem kannst nur du für sie lösen? Es mag abgedroschen klingen, weil es das Erste ist, das du in der Marketing-Schule lernst. Wir haben alle CEOs darüber sprechen hören, wie wichtig es ist, die Nutzer:innen an erste Stelle zu setzen. Aber das tatsächlich umzusetzen, ist eine Herausforderung.
Sobald du deine Zielgruppe verstanden hast, ist es wichtig, zu verstehen, wie dein Produkt ihre Bedürfnisse langfristig, mittelfristig und kurzfristig erfüllt. Allein durch diese Übung kannst du eine Vision entwickeln, die dein Produkt langfristig relevant macht und Nutzer:innen mit einer starken, inspirierenden Botschaft an dich binden.
Was waren Key-Learnings, die du aus der Arbeit bei LinkedIn und Google für Produktmarketing mitnimmst?
Bei jedem Unternehmen, für das ich gearbeitet habe, habe ich etwas anderes gelernt. Google und LinkedIn sind sich insofern sehr ähnlich, als dass sie im Vergleich zu meinen früheren Arbeitgeber:innen sehr produktorientiert sind. Man legt besonderen Wert auf die Produktentwicklung und die kontinuierliche Verbesserung des Produkts durch kurze Innovationszyklen. Das habe ich bei anderen Unternehmen nicht erlebt.
Bei Unilever zum Beispiel haben wir zwei Jahre lang an der Einführung eines neuen Produkts gearbeitet, und viel Zeit damit verbracht die Bedürfnisse der Nutzer:innen im Detail zu verstehen. Dann haben wir die Seife entwickelt, Händler:innen überzeugt, sie zu kaufen und auf ihre Regale zu stellen. Die Menschen haben sie dann gekauft und konsumiert, und man musste ein Jahr warten, um zu sehen, wie sich der Absatz entwickelt. Anschließend traf man eine Entscheidung, ob das Produkt weitergeführt wird.
Da es sich bei Google und LinkedIn um digitale Unternehmen handelt, sind die Dinge schnelllebiger. Die Leute sind offen für neue Tests. Man kann Dinge schnell überarbeiten, nur eine Woche nach der Einführung einer neuen Funktion. Selbst wenn es nicht funktioniert, kann man sich neu positionieren. Das Besondere an diesen Unternehmen ist also ihr innovativer Charakter. Um digital innovativ zu sein, muss man nämlich nicht gleich eine neue Fabrik oder Produktionslinie bauen. Google und LinkedIn sind digitale Vorreiter, die immer mehr testen und experimentieren können als Unternehmen, die von einem physischen Produkt abhängig sind.
Wir lösen die Bedürfnisse der Verbraucher:innen. Wir schaffen also eine Aufgabe, die es zu erfüllen gilt, und wir überarbeiten das Produkt ständig. Darüber hinaus, versuchen wir, neue Wege zu finden, Kund:innen zu überraschen. Wenn man das tut, hat man in allen Branchen gute Chancen auf Erfolg.
Welche Fähigkeiten suchst du, wenn du neue Mitarbeiter:innen für dein Team einstellst?
Eine gute Personalauswahl ist eine der wichtigsten Aufgaben eines:r Marketingleiter:in. Es gibt Dinge, die dir jede Personalabteilung rät: hol nur Leute mit Werten und Skills ein, die gut zum Marketingteam passen. Und dafür gibt es natürlich einen guten Grund: Sie wollen ein Team von Menschen zusammenstellen, die gut zusammenarbeiten können.
Aber als Führungskraft ist es auch wichtig, deine eigene Menschenkenntnis zu haben. Du musst Leute einstellen, die die Kraft von Veränderungen verstehen und den Status quo infrage stellen. Das ist das erste, worauf ich achte, wenn ich Leute einstelle. Ich möchte keine Leute haben, die denken, dass dies nur ein weiterer Job ist und nur das Nötigste tun.
Der zweite Punkt ist Proaktivität. Das ist der Unterschied zwischen einem:r Direktion und Management. Als Manager:in arbeitet man näher mit dem Team zusammen und kann sie ein bisschen an die Hand nehmen. Aber als Direktor:in wird das Team größer und das wird unmöglich. Man sollte Leute haben, die proaktiv sind und die Dinge mit wenig Anleitung selbst erledigen können.
Der dritte Punkt ist die Zusammenarbeit. Suche Menschen, die gut darin sind, zusammenzuarbeiten, denn du möchtest Teamplayer einstellen und keine Leute, die nur wissen, wie sie individuell arbeiten. Menschen, die nicht alles gleich persönlich nehmen und auch das nötige Feingefühl für andere mitbringen, bereichern das Marketingteam enorm.
Das Vierte ist ein wichtiger Wert, den wir hier bei LinkedIn haben: Menschen, die wissen, wie man Spaß hat. Als ich das erste Mal hörte, dass unser CEO das sagte, dachte ich, es sei nicht so wichtig. Dass wir nur versuchen, cool zu sein. Aber das ist ein wirklich wichtiger Wert. Wir wollen keine Leute, die nur an Geld denken oder nur an sich selbst, die egozentrisch sind. Wir brauchen mehr Fachleute, die wissen, wie man Spaß hat und genießen, was sie tun.
Welchen Ratschlag würdest du Marketingfachleuten geben, die eine Karriere als Direktor:innen anstreben?
Meine erste Frage an jede:n, der:die auf die nächste Ebene kommen möchte, lautet: „Warum?“ Du musst nicht einfach deshalb wachsen, weil du in einem Unternehmen arbeitest. Wonach suchst du? Du musst eine sehr klare Motivation haben, sonst kannst du dich schnell selbst frustrieren.
Zweitens, überlege, ob dein Unternehmen dir die Möglichkeit dazu gibt. Gibt es Raum für dich, auf das nächste Level zu gelangen? Ich habe für verschiedene Unternehmen gearbeitet und habe selbst und in meinem Team miterlebt, dass kein Platz zum Aufsteigen war. Wenn das der Fall ist, musst du vielleicht das Team, die Abteilung oder sogar zu einem anderen Unternehmen wechseln.
Der dritte Punkt betrifft dich selbst. Welche Fähigkeiten musst du entwickeln, um dorthin zu gelangen? Welche Lücken gibt es in deinem Profil? Was solltest du noch lernen? Evaluiere deine Kompetenzen.
Wie stimmst du als Marketingdirektor deine Strategie mit der anderer Teams ab?
Es ist fast wie eine menschliche Beziehung. Du musst ein gemeinsames Problem finden, um gemeinsam zu einer Lösung zu gelangen. Und dann die andere Person oder das andere Team beeinflussen, um in zusammen zum Erfolg zu kommen.
Manchmal musst du Kompromisse finden oder die andere Seite etwas ermutigen. Es ist eine Verhandlung. Jeder Teil muss etwas beitragen, um das Ziel zu erreichen.
Gibt es eine:n Vermarkter:in, den:die du bewunderst, und warum?
Ich mag Yvon Chouinard, den Gründer von Patagonia. Er hat ein erstaunliches Unternehmen geschaffen, indem er sich selbst treu geblieben ist und ein Geschäft entwickelt hat, das mit seinen Werten und seiner Leidenschaft für das Leben im Freien in Einklang steht.
Er betrachtet sich vielleicht nicht selbst als Marketer, aber ich denke, er hat die Welt des Marketings revolutioniert, indem er das Marketing von Patagonia auf Umweltaktivismus ausgerichtet hat. Das Unternehmen erhält viel Medienberichterstattung und wird von Verbraucher:innen weltweit geliebt, aufgrund der positiven Auswirkungen, die die Marke auf die Welt hat.
Sie haben mehrere Umweltprojekte unterstützt. Sie haben auch Kampagnen gestartet, bei denen sie ihre Marketingbudgets zur Unterstützung der Erde eingesetzt haben. Das Ergebnis ist eine sehr starke Marke, die auch von der Generation Z und kommenden Generationen geschätzt wird.
Gibt es ein Buch, das du angehenden Marketingdirektor:innen empfehlen würdest?
Ich mag Hararis Sapiens und 21 Lektionen für das 21. Jahrhundert sehr. In gewisser Hinsicht würde ich es als ein Marketing-Buch betrachten, auch wenn man es im Buchladen nicht unter dem Genre finden wird. Es handelt von Evolution, Gesellschaft und Technologietrends, die alle beeinflussen, wie die Marketingwelt funktioniert. Ich denke, jede:r Marketer:in sollte es lesen.
Als Buchempfehlung speziell für Marketing würde ich zu Klassikern greifen, von Philip Kotler zum Beispiel. Was er geschrieben hat, ist immer noch wahr. Er führte die vier Ps des Marketings ein. Bei ihm dreht sich alles um Vertrieb, Kommunikation, Preisgestaltung und Produkt. Das ist ein zeitloser Ansatz.