Adam Kingl: Fragt euer Team beim Brainstorming „Ja, und?“ statt „Ja, aber?“

Adam ist Experte was Kreativität betrifft und nicht scheu zu erzählen, wie wir unsere natürliche Neugier in neue Projekte gießen können.
frame-2711-652930ae310c0192954664-min-656456e517fb1634477286.jpg

Adam Kingl ist Schauspieler und Regisseur, Berater und Geschäftsentwickler und noch dazu Führungsexperte. Seine Leidenschaft für Kreativität prägt seine vielseitige Karriere. Derzeit unterrichtet er an der School of Management des University College London (UCL), wo er Führungskräften beibringt, wie sie natürliche Neugier und Spielfreude in neue Unternehmungen umsetzen können.

In seinem neuesten Buch „Sparking Success“ untersucht er die Art und Weise, wie Künstler:innen und Führungskräfte in kreativen Bereichen neue Dinge entwickeln. Können Führungskräfte in der Wirtschaft diese Praktiken nutzen, um die Innovation in ihren Unternehmen zu fördern? Von der Improvisation bis zur Layered Leadership können Unternehmen viel von Köch:innen, Komiker:innen und Animator:innen lernen, erklärt er im Interview mit ELVTR.

Wie können wir die Kreativität wiederentdecken, die vielen von uns beim Erwachsenwerden verloren geht?

Die Art und Weise, wie wir Organisationen führen, trägt dazu bei, dass die Kreativität abnimmt. Das fängt schon an, bevor die Menschen ihren Arbeitsplatz betreten. Schon während der Schule wird unser kreativer Geist klein gehalten. Es gibt auf alles nur eine richtige Antwort. Das Auswendiglernen ersetzt alternative Lösungsansätze und originelle Denkanstöße.

Organisationen, die sich Anpassungsfähigkeit auf die Fahnen schreiben, können jedoch strukturelle Veränderungen vornehmen. Sie können Anreize schaffen und ihre Organisationsstruktur so ändern, dass mehr Raum für Kreativität frei wird.

Ich habe mich mit Improvisation beschäftigt und sogar ein Jahrzehnt lang eine Improvisationsgruppe gegründet und geleitet. Die Spiele, mit denen wir geübt haben, sind aber auch in vielen geschäftlichen Kontexten hilfreich.

Das Wunderbare an der Improvisation, zum Beispiel im Jazz, ist, dass sie chaotisch erscheinen mag, aber sie ist Kreativität, die nach Struktur sucht. Es gibt nicht viel Input. Sie basiert oft auf wenigen oder gar keinen Vorschlägen. Es geht um Zusammenarbeit und die Fähigkeit zuzuhören - und das ist etwas, was in jeder Organisation wichtig ist.

Brainstorming-Sessions scheitern oft unter anderem daran, dass die Teilnehmenden versuchen, gleichzeitig Ideen zu entwickeln, sie zu bewerten und auszuwählen, welche sie umsetzen wollen. Das führt zu Chaos.

Improvisation schafft Struktur um dieses Konzept herum. Du bringst eine Idee ein und baust darauf auf. Du entscheidest nicht sofort, ob sie dir gefällt oder nicht. Du erkundest sie, als wäre sie die beste Idee der Welt. Das ist eine Technik namens „Ja, und?“.

Es ist das Gegenteil von „Ja, aber?“, einem Ausdruck, den man oft im Geschäftsleben hört und der bedeutet: „Nein, ich lehne deine Idee ab“. „Ja, und?“ bedeutet, dass du Ideen die Chance gibst, eine Weile ausprobiert zu werden. Du überlegst, was passieren würde, wenn du sie umsetzt.

Selbst wenn du diese Idee nicht umsetzt, zollst du der anderen Person Respekt und zeigst Interesse. Viele Manager:innen nehmen an, dass ihre Aufgabe darin besteht, „Ja, aber?“ zu sagen. Dann solltest du dich jedoch nicht wundern, wenn dein Team keine Ideen mehr vorschlägt. Wieso sollten sie auch, wenn du sie doch sofort ablehnst?

Können „kreative Außenseiter:innen“ wie du sie nennst, auch gute Führungskräfte sein?

Jedes Unternehmen behauptet, dass Vielfalt und eine integrative Kultur für sie oberste Priorität haben. Aber wenn Führungskräfte nicht bereit sind, über den Tellerrand hinauszuschauen und Menschen zu motivieren, anders zu sein, haben sie keine Chance.

Nehmen wir das Beispiel der Pixar Animation Studios. Steve Jobs gehörte Pixar, bevor er zu Apple zurückkehrte. Er stellte Leute ein, weil sie anders dachten - „kreative Außenseiter:innen“.

Er stellte den Produzenten und Regisseur Brad Bird ein, der bei vielen ihrer berühmtesten Animationsfilme Regie führte. Er war eine der Schlüsselfiguren bei The Simpsons. Steve Jobs sagte zu ihm: „Ich stelle dich ein, weil du den Laden etwas aufmischst.“ Bird antwortete: „Ich wurde schon von vielen Firmen gefeuert, weil ich ein Ruhestörer war, aber noch nie deswegen eingestellt.“ Er unterschrieb sofort seinen Arbeitsvertrag und wurde zu einem der erfolgreichsten Mitarbeiter:innen des Unternehmens.

Dies ist eine gute Metapher dafür, wie Organisationen über Vielfalt und Inklusion nachdenken sollten.

Unternehmen stellen vielleicht Menschen mit unterschiedlichen Hintergründen oder Studienrichtungen ein. Aber wenn sie in das Unternehmen kommen, wollen wir dann, dass sie alle die gleiche Arbeitsweise haben?

Wenn das der Fall ist, sollte man sich nicht wundern, wenn es an Kreativität mangelt. Vielfalt ist wichtig, aber sie ist nur eine Richtlinie. Hochbürokratische Institutionen sind in der Regel gut darin, Vielfalt einzustellen.

Worin Organisationen ziemlich schlecht sind, ist Inklusion. Wie kann man Menschen dazu ermutigen, ihre Andersartigkeit in den Vordergrund zu stellen, sobald sie Teil eines Teams sind? Wie kann man sie wertschätzen und stärken, anstatt sie zu unterdrücken?

Steve Jobs hat sehr deutlich gemacht, dass ihm das wichtig ist. Er wollte das Denken der Menschen fördern, anstatt sie zu einer Art menschlichen Kopie der Firma zu machen.

Inklusive Organisationen leisten hervorragende Arbeit darin, Außenseiter:innen zu akzeptieren. Ich mag den Begriff „Onboarding“ für die Einführung neuer Mitarbeiter:innen nicht, weil er so viele emotionale Konnotationen hat: „an Bord kommen“, „sich dem Programm anschließen“.

Aber die Frage sollte lauten: Wie können wir eure externe Perspektive erhalten? Wie können wir sicherstellen, dass ihr anders denkt als die anderen, die hier arbeiten, damit wir unser Denken erweitern können?

Ein Ansatz, den du gerne nutzt, ist die „kombinatorische Kreativität“, eine Technik aus der Kochkunst. Was können Unternehmen von Köch:innen mit Michelin-Sternen lernen?

Um kreativ zu sein, muss man nicht immer völlig neue Ideen entwickeln. Man kann auch zwei bereits vorhandene Ideen nehmen und sie auf eine neue Art und Weise kombinieren. Das ist genauso kreativ. Auf diese Weise kreieren sogar die berühmtesten Köch:innen der Welt neue Gerichte.

Nehmen wir das klassische Kartoffelpüree. Dann schauen wir in einen anderen Teil der Welt und fragen uns, welche Geschmacksrichtungen die Küche dort zu bieten hat. Vielleicht schauen wir nach Japan und denken: „Wollen wir mit Wasabi experimentieren?“ Was wäre, wenn ich Wasabi zu Kartoffelpüree geben würde, wäre das lecker? Bei solchen Experimenten mit nie dagewesenen Kombinationen kommen manchmal köstliche Rezepte heraus.

Kannst du uns ein Beispiel für diesen Ansatz im Unternehmen geben?

Wenn du die kreative Kapazität deines Unternehmens steigern möchtest, kannst du Micro-Habits fördern, sodass in der gesamten Organisation ständig Innovationen stattfinden. Auch hier muss es sich nicht immer um eine völlig neue Idee handeln. Es kann ein neues Produkt, eine neue Dienstleistung oder ein neuer interner Prozess sein.

Ein Beispiel dafür ist Hsu Fu Chi, ein Süßwarenhersteller, den ich in der Nähe von Shenzhen in China besucht habe. Er wurde kürzlich von Nestlé übernommen, wahrscheinlich weil er sehr unternehmerisch ist und ständig mit neuen Produkten experimentiert.

Sie hatten in der Fabrik einen Bereich eingerichtet, in dem eine kleine Maschine leicht an die Produktion neuer Produkte oder Verpackungen angepasst werden konnte. Es ist wichtig, das Volumen zu erhöhen, um eine neue Süßigkeit in einer großen Fabrik herzustellen. Aber wenn man eine kleine Fabrik hat, kann man kleine Mengen produzieren, um zu experimentieren.

Sie brachten also ständig neue Bonbons auf den Markt. Die meisten Kreationen wurden nicht weiter produziert. Aber weil sie so viel experimentieren konnten, konnten sie mehr neue Produkte einführen als ein großes Unternehmen. Sie brachten jede Woche einen neuen Schokoriegel auf den Markt, während Nestlé ein paar Jahre brauchte, um ein KitKat mit dunkler Schokolade zu verkaufen. Nestlé wollte also durch die Übernahme lernen, wie man einen „try-and-fail“-Ansatz umsetzt.

Eine Sache, die ich über Kreativität gelernt habe, ist, dass sie ein Zahlenspiel ist. Es ist selten eine vollständig ausgearbeitete Idee, die wie ein Blitz aus dem Himmel kommt.

Normalerweise schreibt man 100 Ideen in sein Notizbuch. Man schaut sie sich an, wählt fünf aus, man bewertet und verfeinert sie, bis man eine starke Idee hat. Mit viel Zeit und Wiederholung ist es einfacher, erfolgreiche Ideen zu finden, als auf eine göttliche Eingebung zu warten.

Du sagst, dass die Verwendung von Bildern die Kommunikation verbessern und den Mitarbeitenden helfen kann, ihre spielerische Neugier wiederzuentdecken. Warum ist das so?

In Zeiten von Turbulenzen, Umstrukturierungen oder Entlassungen ist es wichtig, klar und einfühlsam zu kommunizieren. Bilder sind oft hilfreich, weil sie ermöglichen, die tieferen Emotionen und das Unterbewusstsein der Menschen anzusprechen.

Ich habe einmal mit einem Personalleiter gesprochen, dessen Personalabteilung viele Mitarbeitende entlassen musste. Sie mussten dem verbleibenden Team helfen, diese Veränderungen zu verstehen und emotional zu verarbeiten.

Sie führten einen Workshop durch, in dem alle ihre Gefühle und Ideen zur Entwicklung des Unternehmens malen sollten. Dann kombinierten sie ihre Bilder, ohne zu sprechen, zu einem Wandbild. Auf diese Weise waren sie gezwungen, zusammenzuarbeiten, die Bilder der anderen zu betrachten und ihren Gefühlen freien Lauf zu lassen.

Es ist einfacher, Ideen über Bilder auszutauschen. Es ist eine Möglichkeit, sich zu öffnen und das Negative hinter sich zu lassen. Das Gehirn verarbeitet Bilder tausendmal schneller als Worte. Organisationen verlassen sich manchmal zu sehr auf Worte, Zahlen und PowerPoint-Präsentationen.

Ein weiteres Beispiel ist der japanische Getränkehersteller Suntory, der mithilfe von Bildern auf interne Veränderungen hinwies. Das Unternehmen wollte die Bürokratie abbauen und gab seinen Mitarbeitenden Anstecknadeln in Form eines Katana, des japanischen Samuraischwerts.

Das Schwert sollte das Team daran erinnern, dass überflüssige Schritte aus Arbeitsprozessen weggeschnitten werden sollten. Das Gleiche könnte man auch mit mehreren E-Mails erreichen, aber das würde mehr Zeit und Energie kosten.

Du sagst, dass unser Gehirn darauf programmiert ist, im halbwachen „Beta“-Modus zu verweilen. Wie können wir in den „Gamma“-Modus wechseln, in dem wir hochkonzentriert und kreativ sind?

„Gamma“ ist der Zustand, in dem das Gehirn am schnellsten arbeitet. Es handelt sich um die höchste Gehirnwellenfrequenz, in der man am leistungsfähigsten ist. Das Aufmerksamkeitslevel bei der Arbeit ist „Beta“, der ein paar Grad niedriger als „Gamma“ liegt.

Man kann nicht einfach sagen: „Ich schalte mein Gehirn in den Gamma-Modus, um kreativ zu sein.“ Das Gehirn ist wie ein Muskel. Man kann einen Muskel nicht bloßem Willen dazu bringen, länger zu arbeiten oder stärker zu werden.

Man muss sich regelmäßig Zeit für kreatives Denken nehmen. Wenn man das nicht tut, baut man den Muskel nicht auf. Selbst wenn man Gamma erreicht hat, wird das Gehirn aus Gewohnheit versuchen, wieder in Beta zurückzufallen, es sei denn, man trainiert es, dort zu bleiben.

Die gute Nachricht ist, dass jede:r diese Fähigkeit hat. Es ist keine genetische Veranlagung. Wenn es jemandem schwer fällt, kreativ zu sein, dann liegt das daran, dass er:sie kreatives Denken noch nicht ausreichend trainiert hat.

Eine weitere Idee, mit der du dich beschäftigst, ist „Layered Leadership”, also vielschichtige Führung. Wie können Führungskräfte dies im Unternehmenskontext umsetzen?

Eine der kreativen Organisationen, mit denen ich zusammengearbeitet habe, ist die in London ansässige Firma Layered Reality, die immersive Erlebnisse produziert. Sie schichten verschiedene kreative Techniken zu einem spannenden Gesamterlebnis. Statt eines traditionellen Theaterstücks kombinieren sie Schauspieler:innen, Hologramme, Virtual und Augmented Reality, Musik und Spielelemente, sodass das Publikum aktiv teilnehmen kann.

Als ich Andrew McGuinnes, den CEO des Unternehmens, interviewte, sagte er, dass die Art und Weise, wie das Unternehmen seine Geschäfte führt, eine Metapher dafür ist, wie er an Führung herangeht. Man müsse die verschiedensten täglichen Herausforderungen an die bewältigen. Manchmal muss man sich um die finanzielle Gesundheit kümmern, manchmal um die kreative. Als Führungskraft kann man nicht eindimensional sein.

Innovation und Anpassungsfähigkeit im ständigen Wechsel mit dem realen Tagesgeschäft zu managen, erfordert von einer Führungskraft außerordentliches Geschick. Oder, wie er es beschreibt, muss man von Schicht zu Schicht wechseln können, mit einer Frequenz, die man in den Führungsetagen der traditionellen Wirtschaft nicht oft sieht.

Ich fordere die Leser:innen auf, nicht zu streng zu sein, wenn sie an ihre Rolle als Führungskraft und an ihre Definition von Management herangehen. Wenn man das Wort „managen“ in einem Wörterbuch nachschlägt, erscheint in fast allen Sprachen als erstes Synonym „kontrollieren“. Managen ist also gleichbedeutend mit kontrollieren.

Es gibt jedoch andere Verben, die für die heutige Managementpraxis viel anschaulicher sind. Wörter wie „relevanter machen“ oder „inspirieren“ sind das, was Menschen zu außergewöhnlichen Leistungen anregt. Manager:innen, die ihre Aufgabe darin sehen, zu kontrollieren, sollten sich nicht wundern, wenn sie nicht in der Lage sind, Innovationen voranzutreiben.

Gibt es noch Raum für menschliche Kreativität in einer Zeit, in der künstliche Intelligenz Bilder und Texte erstellen und sogar einen Roman von Grund auf schreiben kann?

Die meisten kreativen Ergebnisse von KI sind Extrapolationen von Mustern. KI nimmt Informationen und verarbeitet sie, um etwas anderes zu schaffen.

Das Wunderbare an menschlicher Kreativität ist, dass sie nicht nur auf Neuheit beruht, sondern auch auf menschlicher Verbindung: Stimuli, die spontan, organisch und durch menschliche Kommunikation entstehen.

Daher können KI-generierte kreative Ergebnisse interessant oder sogar wunderbar sein, aber sie werden den Bedarf an menschlicher Kreativität nur erhöhen.

Genau deshalb spielen Führungskräfte eine wichtige Rolle bei der Steigerung der kreativen Kapazität von Organisationen. Führung wird sich um das Management des menschlichen Ökosystems drehen.